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Je oller desto doller –
Auch jenseits der 50 oder 60 kann man sich beim Klettern steigern, wenn man sinnvoll trainiert.

Ich behaupte: Was Senioren hindert, schwerer zu klettern, ist vor allem der Glaube an den unweigerlichen Abbau.
Aber wie kommt der zustande?
Die Statistik ist eindeutig: mit steigendem Alter nehmen Kraft, Kondition, Koordination und Beweglichkeit ab. Nur das Gewicht nimmt zu.
Statistik sagt aber nichts über die Ursachen eines Geschehens.
Ist der Grund für den sportlichen Leistungsabfall nun das Alter an sich, oder …?
Nur eine kleine Minderheit der über 50-jährigen ist sportlich aktiv. Und die wenigen, die sich bewegen, treiben meistens typischen Seniorensport, etwa gemütliches Radeln, Wandern, sanfte Gymnastik. Während junge Leute häufiger sporteln, dabei gerne powern und sich nicht dauernd fragen, ob das nun zu viel für sie ist.
Unsportlich zu sein ist bei Älteren normal.
Die Häufigkeit und Intensität des Trainings lässt also bei den meisten Menschen mit den Jahren deutlich nach. Dass die Muskelmasse dabei allmählich abnimmt, ist logisch; mit 80 Jahren hat der Durchschnitsmensch nur noch halb so viel wie mit 25.
Was oft als natürlicher Alterungsprozess angesehen wird, ist vor allem mangelndes Training. Kletterer haben da Vorteile. Selbst wenn sie nur gemütlich und genussvoll Routen spulen, verlieren sie weniger Muskulatur als die meisten anderen Senioren. Aber was passiert, wenn sie ehrgeizig sind und härter klettern wollen? Ist es dafür zu spät?

Kletterer Rudl Borschert im Alter von 65 Jahren.
Rudl Borschert 2003 im Alter von 65 Jahren

Nein. Muskeln von 90-jährigen wachsen, wenn sie trainiert werden. Und auch das Gleichgewichtsgefühl und die Koordination kann man in jedem Alter verbessern. Ebenso wie die Klettertechnik und -taktik.
Und warum gibt es dann keine 60-jährigen Sieger beim Kletter-Weltcup? Da gibt es tatsächlich altersbedingte körperliche Grenzen. Völlig austrainierte, technisch perfekte Leistungssportler müssen damit rechnen, nicht mehr ganz so hart klettern zu können wie in jungen Jahren. Aber wer gehört schon in diese Kategorie?
Ich nicht. Und bei mir hat es immer etwas genutzt, wenn ich meinen Hintern hochgebracht und gezielt trainiert habe, mit 50 genauso wie mit 60.
Ich beschreibe im Folgenden meine Methode; das meiste habe ich mir aus verschiedenen Trainingsbüchern und wissenschaftlichen Artikeln zusammengeklaubt, einiges selber entwickelt.

Disclaimer: Ich gebe hier meine persönlichen Erfahrungen wieder. Jeder Körper ist anders. Was für mich zu viel ist, kann für jemanden, der besser in Form ist, zu lasch sein. Und völlig Untrainierte sind damit vielleicht überfordert.
Wie auch immer, die Regel Nummer eins ist: Auf den Körper hören!
Denn das Wichtigste beim Training ist, trotz Training gesund zu bleiben.

Ein Spezialtraining mit Gewichten finde ich nur nach Verletzungen sinnvoll. Und nur einmal im Jahr, für etwa 7 Wochen, nutze ich ein Fingerboard, um mich auf Stellen am Fels vorzubereiten, die man in der Halle schlecht trainieren kann; dabei halte ich schmale Leisten und Fingerlöcher. So geht der Kraftaufbau schneller, aber es klappt auch ohne diese Trockenübungen, wenn ich einfach auf gezielte und trainingswirksame Art klettern gehe. Und parallel dazu ein paar Übungen mache, die der Beweglichkeit und Gesundheit dienen (was ich nicht immer konsequent durchhalte, da bin ich echt kein Vorbild!).
Passende Übungen findet man in Lehrbüchern und Videos. Für die zur Gesunderhaltung ist ein Kurs mit Korrektur durch einen Experten ideal.

Wie ich trainiere

1. Bouldern am Seil (zweimal pro Woche)

Zuerst klettere ich ein paar leichtere Routen zum Aufwärmen, in der Halle mindestens vier bis fünf. Dann wähle ich eine Route aus, die „eigentlich“ viel zu schwer für mich ist, mindestens einen Grad über meinem On Sight-Niveau. Und dann probiere ich hartnäckig an den schweren Stellen herum, nicht nur zwei- oder dreimal, sondern auch 10 mal oder öfter. Dabei versuche ich verschiedene, auch verrückt erscheinende Lösungen und setze meine ganze Kraft ein. So wird, was zuerst für mich unmöglich ausgesehen hat, oft machbar - und manchmal verblüffend leicht.
Bei dieser Art des Kletterns geht es mir nicht um den Durchstieg einer Route, sondern um das Problemlösen. Natürlich könnte ich stattdessen einfach knallhart bouldern. Aber dabei müsste ich öfter abspringen, und das Verletzungsrisiko ist mir zu hoch.
Etwa zweimal pro Woche am Seil zu bouldern ist ein super Krafttraining, mein Bewegungsrepertoire erweitert sich, und meine Klettertechnik wird besser, weil das für die schweren Stellen wirklich notwendig ist.
Nach einer solchen Session braucht mein Körper mindestens zwei Tage Pause.

2. Ausdauer

Die Ausdauer verbessert sich automatisch mit zunehmender Muskelkraft. Wenn ich neben zweimal pro Woche Powern (siehe oben) dann noch ein drittes Mal klettern gehe und nur leichte Routen absolviere - mindestens einen Grad unter meinem On Sight-Level - reicht das, um sie eingermaßen zu erhalten. Will ich noch eins draufsetzen, etwa für einen Urlaub am Fels mit 40m-Routen, beginne ich etwa 4 Wochen vorher mit einem speziellen Ausdauertraining. Dabei klettere ich auch mal, bis ich gepumpt bin, und zwar im On sight und bei Rotpunkt-Versuchen.

3. Beweglichkeit (zweimal pro Woche)

Viele Ältere berichten, dass ihre Beweglichkeit mit den Jahren schlechter würde. Und schieben das aufs Alter, statt etwas dagegen zu tun.
Etwa zweimal pro Woche mache ich etwa 20 Minuten lang zum Klettern passende Übungen (nicht immer konsequent, mit Unterbrechungen im Urlaub oder auch sonst mal). Und ich bin noch genauso beweglich wie mit 30. Tue ich mehr, so wird meine Beweglichkeit besser, aber ich finde, das lohnt nicht – für meine Zwecke reicht´s.

4. Training zur Gesunderhaltung (ein- bis zweimal pro Woche)

  • drei Übungen zum Tiefhalten der Schulter und für die Stärkung der die Schulter stabilisierenden Muskeln. (Die Schulter ist durch das steile Hallenklettern besonders gefährdet). Das sollte man sich möglichst von einem Experten zeigen lassen.
  • etwa drei Übungen zur Stärkung des Core (Bauch und Rücken). Denn gute Körperspannung beugt Verletzungen vor und macht schwere Routen leichter oder überhaupt erst möglich.
  • eine Übung für den beim Klettern etwas weniger beanspruchten, aber doch wichtigen Trizeps.
    Das gesamte Gesundheits-Programm dauert maximal eine halbe Stunde, und wenn ich in den zwischen den Übungen notwendigen Pausen auch noch die Beweglichkeit trainiere, sind es 50 Minuten.

Der Aufwand ist alles in allem nicht groß, um auch im Alter schwere Routen zu ziehen. Man muss nur machen … auf geht´s!

Irmgard Braun - Kletterfotos der Kletterin und Autorin
Hintergrundfoto - background visual